OVG Bremen vom 08.10.2012, Az.: 1 B 102/12 und VG Gießen, Az. 4 K 905/12.GI
Das Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen hat sich in einer bereits Ende des Jahres 2012 ergangenen, sehr interessanten Entscheidung, zu dem bisher hoch umstrittenen Thema der „präventiven Vermögensabschöpfung“ geäußert.
Hintergrund dieses Rechtsinstituts ist das von den Polizeibehörden der Länder vermehrt praktizierte Vorgehen, im Anschluss oder auch unabhängig von einem Strafverfahren Sachen aufgrund der Polizeigesetze sicherzustellen und dies mit der Notwendigkeit der Gefahrenabwehr zu begründen.
Im konkreten Fall lag der Verdacht des gewerbsmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmittel gegen insgesamt 8 Personen vor. Telekommunikationsüberwachungen erhärteten den Verdacht und mündeten in Hausdurchsuchungen. Hierbei konnte bei zwei Verdächtigen Kokain aufgefunden werden, bei den übrigen Verdächtigen fanden sich keine Betäubungsmittel. Bei dem Bruder des Antragsstellers wurde gleichwohl ein Geldbetrag von 7.150,00 EUR sichergestellt. Dieser Betrag war in 14 x 500 EUR und 3 x 50 EUR gestückelt. Das Geld wurde in einem Lederetui auf einem Vitrinenschrank gefunden und war wegen der hochgezogenen Blende des Schrankes nicht sofort zu erblicken.
Das Herausgabeverlangen des Bruders des Antragsstellers gegenüber der Staatsanwaltschaft blieb ohne Erfolg. Anschließend beantragte der Antragssteller bei der Staatsanwaltschaft die Herausgabe des Geldes, mit der Begründung, er sei dessen Eigentümer. Zum Nachweis seiner Behauptungen legte er unter anderen eine Erklärung seines Bruders sowie weitere Dokumente vor. Die Staatsanwaltschaft lehnte die Herausgabe abermals ab.
Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft wurden drei Monate später eingestellt, da die Taten nicht in einer für eine Anklage erforderlichen Weise konkretisierbar waren. Für die Staatsanwaltschaft bestand gleichwohl kein Zweifel daran, dass das beschlagnahmte Geld nur aus Betäubungsmittelgeschäften stammen könne.
Der strafrechtliche Beschlagnahmebeschluss wurde aufgehoben und das Geld anschließend von der Stadt Bremen unter Rekurs auf § 23 Nr. 2 BremPolG zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für die öffentliche Sicherheit sichergestellt. Nach dem Ermittlungsergebnis müsse davon ausgegangen werden, dass das Geld nicht aus legalen Quellen stamme und ohne Sicherstellung erneut zur Begehung von Straftaten verwendet würde.
Der Antragssteller legte zunächst Widerspruch gegen die Sicherstellung ein und beantragte sodann die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs. Das VG Bremen lehnte den Antrag durch Beschluss ab. Nach Lage der Dinge sei der Antragssteller nicht in der Lage, sein Eigentum nachzuweisen. Seine Angaben zur Herkunft des Geldes seien dubios und nicht nachvollziehbar.
Das OVG Bremen hat die Entscheidung des VG Bremen zwar aufrechterhalten, in erfreulich deutlicher Weise aber klargestellt: „§ 23 Nr. 2 BremPolG ist keine Rechtsgrundlage für eine polizeiliche ‚Gewinnabschöpfung‘(es folgen Quellennachweise)“.
Zunächst erörtert das Gericht, dass eine Substantiierung des Vortrags des Antragsstellers in der Hauptsache erforderlich sein wird. Es stellt dabei auf die Einkommensverhältnisse und insbesondere darauf ab, dass zunächst der Bruder des Antragsstellers die Herausgabe von der Staatsanwaltschaft verlangte und erst als dieser Versuch gescheitert war, der Antragssteller sein Eigentum an dem Geld behauptete, was nach Auffassung des Gerichts die Vermutung nahelegt „dass der Vortrag des Antragsstellers lediglich taktisch ist.“. Eine nähere Überprüfung der Angaben könne daher nur im Hauptsacheverfahren erfolgen.
Das Gericht weist sodann darauf hin, dass in der Rechtsprechung zwar anerkannt sei, dass Geldbeträge, die zur Begehung von Straftaten, insbesondere Rauschgiftgeschäften, verwendet werden sollten, aus polizeilichen Gründen sichergestellt werden könnten, dies aber in jedem Fall nur dann zulässig sei, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass der Geldbetrag für entsprechende Geschäfte verwendet werden solle. Eine Sicherstellung von Sachen erfordere daher eine umfassende Würdigung des Einzelfalls.
In einer Art obiter dictum weißt das Gericht zum Ende der Entscheidung noch darauf hin, dass theoretisch auch eine Sicherstellung zum Schutz des Eigentümers nach § 23 Nr. 1 BremPolG in Betracht gezogen werden könnte. Es wirft anschließend die Frage auf, ob eine solche Sicherstellung auch dann zulässig sein kann, wenn im Zeitpunkt der Sicherstellung nicht mehr davon ausgegangen werden kann, dass der rechtmäßige Eigentümer noch aufgefunden wird. Dies hatte das VG Freiburg am 28.10.2010, Az. 4 K 389/09 noch konträr entschieden.
Der Beschluss des OVG Bremen ist aus rechtsstaatlicher Sicht zu begrüßen.
Die präventive Gewinnabschöpfung befindet sich in einem Dilemma. Die hierzu ergangenen Entscheidungen haben allesamt gemein, dass jeder Leser nach den getroffenen Feststellungen ein „ungutes Gefühl“ zur Glaubhaftigkeit der Angaben der Betroffenen hat. Das gilt exemplarisch sowohl für den „Kupferkabelfall“ des VG Freiburg, Az. 4 K 389/09 vom 28.10.2010, als auch für den „Polizeikellenfall“ des VG Frankfurt am Main vom 30.01.2007, Az. 5 E 2957/06 und kann beliebig auf andere hierzu ergangene Entscheidungen übertragen werden.
In einem Rechtsstaat reicht dieses „ungute Gefühl“ aber nicht aus, um Menschen Sachen wegzunehmen. Hierfür sind eine an Verfassungsgrundsätzen ausgerichtete Ermächtigungsgrundlage und das Vorliegen der Tatbestandsmerkmale dieser Ermächtigungsgrundlage im Einzelfall erforderlich. Auch in Hessen werden „präventive Gewinnabschöpfungsmaßnahmen“ unter Rekurs auf § 40 HSOG durchgeführt. Ob dies im Einzelfall bei fundierter Vertretung durch einen Rechtsanwalt einer gerichtlichen Überprüfung standhält, darf bezweifelt werden.
Mit ähnlicher Tendenz hat das VG Gießen, Az. 4 K 905/12.GI am 09.10.2012 geurteilt und festgestellt, dass eine präventiv begründete Sicherstellung nur in Betracht kommt, wenn die festgestellte Tatsachenbasis aufgrund objektiver Umstände die kriminelle Zweckbestimmung als nächstliegende Möglichkeit erkennbar werden lässt.
Dem Urteil lag ebenfalls ein vorangegangenes, strafrechtliches Hauptverfahren zugrunde. Dieses Verfahren wegen versuchten Betruges gegen den Kläger wurde mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft nach § 153a Abs. 2 StPO vorläufig eingestellt.
Das VG hob die Sicherstellung auf und verurteilte den Beklagten, das sichergestellte Geld an den Kläger auszuzahlen. Zur Begründung führte es an, dass bei § 40 Nr. 4 HSOG nur im Zusammenwirken der subjektiven Komponente polizeilicher Erfahrung mit der objektiven bestimmter Indizien in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise zu gewährleisten sei, dass nicht im Wesentlichen Vermutungen, sondern konkrete und im gewissen Umfang verdichtete Umstände als Tatsachenbasis für den Verdacht vorlägen.
Besonders zu begrüßen sind die nachfolgenden Ausführungen, dass es bei § 40 Nr. 4 HSOG gerade nicht darauf ankommt, woher der Betroffene das Geld erlangt hat und ob dieses etwa ordnungsgemäß versteuert wurde. Entscheidend sei vielmehr, für welchen Zweck das Geld verwendet werden sollte. Unter Anlegung anderer Maßstäbe müsste ansonsten -konsequent weitergedacht-, so das Verwaltungsgericht, dem Kläger zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten verboten werden, überhaupt Geld zu besitzen, dessen Herkunft und beabsichtigten Verwendungszweck er nicht belegen könne; dass für eine derartige Regelung keine gesetzliche Befugnis bestünde, bedarf nach richtiger Auffassung des Gerichts keiner weiteren Ausführung.